Früher sprach man von den eigenen vier Wänden, heute zunehmend auch von den eigenen Fenstern. Zumindest liegt der Gedanke nahe, wenn ich mir so manche Wohnungen und Häuser anschaue. Ob in der Stadt mitten im Zentrum oder neu gebaut auf dem Land. Auch weil ich just in dem Moment diesen Beitrag schreibe und aus mehreren bodenlosen Fenster des 1. OGs blicke.

Während ich am Schreibtisch im Tageslicht sitze, kommen auf der rechten Fensterseite Menschen vom Markt mit ihren Markteinkäufen – frostig eingepackt – um die Ecke. Geht mein Blick in die Ferne, gerade aus, vermischen sich Autos und Fußgänger auf einer kleinen Kreuzung. Meine bodenlose Fensterfront, wie eine L-Form zu sehen, versteckt in der Ecke selbst noch eine kleine Küchenzeile. Kaffee kochen und die Aussicht genießen. Es ist keine Hauptstraße und dennoch gefällt mir der Blick aus beiden Fensterfronten. Ich bin in meinem Schaffenskreis und gleichzeitig auch ein Stück da draußen im „Leben“, wenn es mich gedanklich dorthin zieht.

Dennoch ist der eigene Geschmack ausschlaggebend für oder gegen bodentiefe Fenster. Immer mit dem Wissen: Alles kann nichts muss. Auch weil Anspruch und Wohlfühlfaktor Definitionssache ist. Bei jedem von uns.

 

Wer im Glashaus wohnt

Warum Architekten und Planer beim künftigen Bau von bodentiefen Fenstern jedoch die elementarwichtigen Salamizonen nicht vergessen dürfen, darüber lohnt es sich auch mit einem kleinen Lächeln im Gesicht nachzudenken. Den Wink mit dem Zaunpfahl gibt´s am Ende.

Bodentiefe Fenster, statt Fensterbänke und Blumentöpfe. Lichtdurchflutete Räume, statt dunkle Ecken und schwere Wände. Immer häufiger zieht es Menschen zum „Glashaus“. Nicht zu verwechseln mit einem Gewächshaus. Glas bis zum Boden kennt man vielleicht eher aus Serien und Filmen mit Hochhausszenen. Schon die Aussicht auf bodentiefe Fenster versprüht das Gefühl von Offenheit. Vielleicht sogar ein offenerer, leichterer Mensch sein zu können.

Ein interessanter Artikel des SZ-Magazins stellt zwei Denkansätze gegenüber. Wie werden bodenlose Fenster von der Öffentlichkeit wahrgenommen und wie sieht es tatsächlich in der Realität aus? In den eigenen vier Wänden und hinter den großen Fenstern.

In der öffentlichen Wahrnehmung vermitteln diese Fenster oft etwas Feierliches, Pathetisches, Visionäres, so das SZ-Magazin. Stehen Politiker, wichtige Funktionäre und andere „öffentliche“ Personen in dieser Fensterfront, scheint sie wie ein Rahmen zu wirken. Erhaben und mächtig(er). Sowohl nach Innen als auch nach Außen gerichtet. Der visionäre Blick.

In der privaten Bewohner-Realität stehen großformatige und bodentiefe Fenster für Lebensqualität und zeitgemäßes Wohnen. Sie liegen im Trend. Auslöser war sicherlich die Fußbodenheizung. Seitdem von unten geheitzt wird, ist der bisherige Platz des Heizkörpers frei und das Fenster kann sich bis zum Boden strecken. Dadurch gelangt mehr Licht in den Wohnraum und die Fassaden wirken weniger wuchtig.

Aber wie sieht´s hinter der Front in der Neubausiedlung aus? Der Blick rein und auch raus.

Bodentiefe Fenster können zu einer Herausforderung beim Einrichten werden. Zumindest, wenn man nicht schon bei Grundrisserstellung klar ist, wo beispielsweise Couch, Schränke oder Betten stehen (können). Ein schlüssiges Gesamtkonzept ist tatsächlich von Anfang an nötig. Denn nicht jede Rückwand von Couch, Sideboard & Co. haben ihren großen Auftritt, wenn man von außen durch die Fenster hereinschaut. Ein Spaziergang durch Neubauviertel könnte interessant werden, wenn Sie es mal aus der Perspektive heraus betrachten.

Aber: es ist und bleibt natürlich eine Geschmacksache. Zum Glück.

Genauso wie die Tatsache, dass bodentiefe Fenster die nackten Tatsachen eines – ich nenn es mal so – spannenden Eigenleben von Garten- und Terrassen präsentieren (können). Ein Chaos aus Bobby-Car, Kinderfahrrad, Gummistiefeln, Schubkarre, ungenutzte Übertöpfe, Gartenwerkzeug und Co. haben natürlich gute Karten, gesehen zu werden, wenn bodentiefe Fenster den Blick frei machen.

Aber wie gesagt: Kann. Muss nicht so sein. Es gibt genügend Beispiele, wo Fenster bis zum Boden gigantisch schöne Gärten, gepflegte Wohlfühlecken, Blumen, Sträucher, Terrassen und vieles mehr absolut in Szene setzen. Wo der Blick nach draußen alle Blicke auf sich zieht, auch wenn man eben erst Wohnung oder Haus betreten hat. Ich gehöre zu dieser Sorte und lass mich schnell vom Blick nach draußen anziehen, womit sich für mich auch der Kreis zum anfangs erwähnten Gefühl der Offenheit wieder schließt.

 

Das mit dem Wohnen ist eine intime – eine ganz persönliche Geschichte geworden

Jeder Blick nach Innen, mit und ohne bodentiefen Fenstern, ist eine Erweiterung der Persönlichkeit. Der Leidenschaft, Stimmung und Vorlieben.

Stellt man sich dann die Frage, ob bodentief oder nicht, könnten die besagten „Salamizonen“ eventuell ausschlaggebend sein.

Die Planung ist das eine, aber die Bewohner-Realität das andere. Oder in den Worten von Anne Zuber, Chefredakteurin der Zeitschrift Häuser: »Die Realität, das ist der Augenblick, in dem man im Vorbeigehen in den Kühlschrank schaut, sich zwei Scheiben Salami in den Mund schiebt und dabei von Nachbarn aus drei verschiedenen Himmelsrichtungen beobachtet wird.« Zubers Aufforderung an künftige Architekten und Planer: »Salamizonen nicht vergessen.« sz-magazin-süddeutsche.de

 

In diesem Sinne, genießen Sie Ihren Blick aus dem Fenster. Heute. Morgen und auch für den Rest der Woche. Mit und ohne Salami.

 

P.S. Manch einer bleibt allerdings doch lieber bei der bodenlosen Variante. Zieht das gemütlich Kissen mit einer warmen Tasse Kaffee und Buch auf der breiten Fensterbank vor. Und schiebt die BlumentopfWelt für diese Zeit nur etwas zur Seite.

Trend hin oder her. Wohlfühlen steht an erster Stelle!